Sagt Borta Leibzag

Borta Leibzag war früher eine bekannte Tänzerin,
zusammen mit Leurut Bellohm.

Vom Kriege

Das Wesentliche in diesem Bild der Mutter mit ihrem toten Sohn ist kaum zu sehen: Ihre linke Hand und die Geste tiefer Schicksalsergebenheit.

Clausewitz meint,

der Krieg sei nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln. Der Krieg sei ein Konflikt großer Interessen, der sich blutig löse, und nur darin sei er von anderen Konflikten verschieden.

Die Politik sei der Schoß, in welchem sich der Krieg entwickelt; in ihr lägen die Lineamente desselben schon verborgen angedeutet wie die Eigenschaften der lebenden Geschöpfe in ihren Keimen.

Sagt Borta Leibzag:

Im Kriege stehen zwei Parteien einander gegenüber:

Auf der einen Seite die Soldatenmütter, deren Söhne entsetzliche Grausamkeiten begehen und qualvollen Tod erleiden müssen. Barbusse, Jünger und Remarque schreiben darüber.

Auf der anderen Seite stehen Leute, die es für ihr Recht halten, die Söhne des Landes an die Front und in die Gräben zu stellen.

Oscar Wilde sagt,

Jesus habe sich die zu Brüdern erwählt, die stumm sind unterm Joch und deren Schweigen allein Gott höre. Jesus wolle dem Blinden Auge sein, dem Tauben Ohr und der Schrei auf den Lippen dessen, dem die Zunge gebunden sei. Den Myriaden, die keiner Sprache mächtig sind, wolle er Posaune sein, durch die sie den Himmel anrufen könnten.


Länder wie Menschen

So sieht er aus, der Ländermensch.

Länder denken über Länder, wie Menschen über Menschen denken: Sie lieben und verachten einander, misstrauen oder vertrauen dem anderen, urteilen gut und schlecht übereinander, hassen sich. Länder können beleidigt sein.

Sagt Borta Leibzag:

Dieses vorausgesetzt, ist eines überraschend: Alle Länder benehmen sich wie Menschen eines ganz bestimmten, nicht gerade sympathischen Schlages.

Wir kennen ihn gut, diesen Ländermenschen: Prestige ist sein höchstes Gut. Er selbst ist der Erste und Beste. Schnell ist er beleidigt. Anderen gönnt er wenig. Größe ist ihm fremd. Dass die Welt sich um viele Mittelpunkte dreht, weiß er nicht.

So sind alle Länder, auch die reichen und schönen.

Ein zu hartes Urteil? Gewiss. Es gibt höfliche Länder, das zumindest. Aber ist echte Großzügigkeit in der Außenpolitik denkbar? Großzügigkeit etwa in Prestigefragen?


Auf Augenhöhe

Zweimal im Jahr stehen Fernsehturm und Hochhaus einander auf Augenhöhe gegenüber. Hier am 4. Oktober 2016 um 15.41 Uhr.

Es gibt Gesellschaften, in denen der Vater den erwachsenen Sohn seit Generationen verachtet, von diesem aber verehrt wird.

Es gibt Gesellschaften, in denen Augenhöhe auch unter Eheleuten nicht besteht, geschweige zwischen Eltern und Kindern. 

Sagt Borta Leibzag:

Gott als Zeugen dafür aufzurufen, ist jahrhundertealter Betrug.

Vielleicht lässt sich der Entwicklungsstand einer Gesellschaft daran ablesen, wie viel Augenhöhe sie erlaubt, wie viel Symmetrie im Miteinander. Ob die Geschlechter entspannt miteinander umgehen. Wie der Sohn mit dem Vater spricht.


Das Urteil ist gefallen

Hier sind unverrückbare Meinungen zu Hause.

Verfassung und Gesetze sorgen dafür, dass jedermann sich zu jedem Gegenstand ein Urteil bilden und dieses öffentlich kundtun kann. Eines der großen Ergebnisse gesellschaftlicher Entwicklung.

Sagt Borta Leibzag:

Meinungen und Urteile können endgültig sein. Das klingt trivial.

Meinungsbildungsprozesse stellt man sich vor wie kontinuierlich arbeitende maschinelle Anlagen, in denen laufend neue und alte Fakten vermischt, verknetet und verrührt werden. Gelegentlich und nach Bedarf entnimmt man daraus wie eine Kostprobe seine gerade aktuelle Meinung.

Diese Vorstellung ist falsch.

Meinungsbildungsprozesse haben nicht nur einen Anfang, sondern leider auch ein Ende. Ist das Urteil einmal gefällt, werden korrigierende, relativierende, revolutionierende Fakten nicht mehr aufgenommen, nicht mehr verknetet und nicht verrührt. Die Sache ist endgültig entschieden. Das Urteil widersteht jedem Versuch, durch neuen Fakten neue Einsichten zu schaffen.

Im menschlichen Verkehr ist dieses Phänomen allgemein bekannt. Im politischen Verkehr hofft man unverzagt darauf, dass die Knetmaschine immer weiterläuft und Meinungen sich ändern können.

Doch schon Tacitus wusste:

Der einmal verhasste Fürst, was er auch tun mochte, Gutes oder Böses, erregt unverändert den gleichen Hass. (Tacitus Historiae 1.7.2)


Was ist ein Buchkunstwerk?

Das ist gewiss kein Buchkunstwerk, aber ist es ein Bildkunstwerk? Sprechen die Formen miteinander, erzählen sie uns eine Geschichte? Genügt das, um ein Kunstwerk zu sein?

Ernst Gombrich sagt,

in der Kunst gehe es zuerst und vor allem um die Lösung bestimmter künstlerischer Probleme, genauer gesagt um jene Lösungen, die den Gang der weiteren Entwicklung bestimmen. Es werde immer Künstler geben, die die Charakterstärke haben, sich nie mit halben Lösungen zufrieden zu geben, sondern bereit seien, auf alle Effekthascherei und Kompromisse zu verzichten und nur der Mühsal ehrlichen Schaffens zu leben.

Felix Krull hält dagegen,

Kunst werde nicht in stumpfer Fron und Plackerei gewonnen, sondern sei ein Geschenk der Freiheit und des äußeren Müßigganges; man erringe sie nicht, man atme sie ein; verborgene Werkzeuge seien ihretwegen tätig, ein geheimer Fleiß der Sinne und des Geistes werbe stündlich um ihre Güter, und man könne wohl sagen, dass sie den Erwählten im Schlafe anfliege.

Sagt Borta Leibzag:

Ein Buchkunstwerk erkennt man nicht am Schaffensprozess, auch nicht daran, dass es von einem Künstler geschaffen wurde.

Ein gutes Buch ist aus sich selbst heraus als solches erkennbar.

Ein gutes Buch enthält Ewige Geschichten, die sich in wenigen Sätzen zusammenfassen lassen und uns teuer sind, ganz unabhängig von Stil und Sprache. Seine Szenen und Charaktere werden fester Bestandteil unseres Lebens und unserer Vorstellungswelt. Es zu lesen, lässt uns unmittelbar in Breite und Tiefe erleben, was sich ganz fern jeder Wirklichkeit zuträgt, und ist allein in diesem Sinne realistisch.

Die Strudlhofstiege. Reales Zentrum einer wirklichkeitsfernen Romanhandlung.

Seelische Hygiene

Nicht für andere, sondern für mich. Nicht für das Himmelreich, sondern für das Hier und Jetzt.

Bei Lukas steht:

Tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen. Und wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück. Und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht. Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet.

Oscar Wilde schreibt aus dem Gefängnis,

Jesu Lehre fordere nicht ein Leben für andere als höchstes Ziel. Wenn Jesus sage, „Vergebet euren Feinden“, so meine er nicht, es den Feinden zuliebe zu tun, sondern sich selbst zuliebe. Wenn er den reichen Jüngling auffordere, alles was er habe, den Armen zu geben, so wolle er nicht den Armen helfen, sondern der Seele des Jünglings.

Sagt Borta Leibzag:

Feindesliebe ist eine Art des Loslassens. Sie hält die Seele rein. Begütigen, hinnehmen und vergeben zu können ist eine Gnadengabe.

Übrigens: Hinnehmen und nachgeben zwischen Ländern ist gefährlich. Denn Friedfertigkeit gefährdet den Frieden.


Wir oder sie

Für die einen ist es 11.24 Uhr, für die anderen fünf Minuten vor Zwölf.

Unter den wichtigen gesellschaftlichen Fragen wirken einige polarisierend. Je stärker sie es tun, desto eher werden von mir platte Bekenntnisse anstelle abwägender Antworten erwartet. Dann wird allem, was was ich sage, nicht mehr ein Beitrag zur Diskussion, sondern eine Absicht im Sinne einer Parteinahme unterstellt.

Solche Bekenntnisse stützen sich oft auf Symbole und klischeehafte Begriffe. Einige davon erhalten in der Polarisierung das Etikett „politisch korrekt“.

Diese Phänomene sind keine Erfindung der Neuzeit, denn:

Bei Matthäus steht:

Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreuet.

Sagt Borta Leibzag:

Wer hier die Vernunft vermisst, sucht an der falschen Stelle. Der gesunde Menschenverstand muss einsehen, dass es MANCHMAL zwischen sammeln und zerstreuen nichts Drittes, Indifferentes gibt. Symbolkultur gehört zum Leben, in der Politik wie in der Familie.

Und wenn es nicht nur um Symbole, sondern um ernste Dinge geht: In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod.


Bedürfnisse

Information oder Sensation?

Wer Zeitung liest, folgt damit zwei Bedürfnissen: Seinem Informationsbedürfnis und seinem Sensationsbedürfnis. Die Zeitungen sind darauf eingestellt, beiden Bedürfnissen in einem bestimmten Mischungsverhältnis zu entsprechen. Ich lese genau diejenige Zeitung, die meinem Mischungsgeschmack entspricht.

Akademiker neigen dazu, aus meinem bevorzugten Mischungsverhältnis auf meinen Bildungsgrad zu schließen. Menschen mit starkem Sensationsbedürfnis verachten sie. Ihnen selbst genüge die Information, behaupten sie, und Sensationen bedeuteten ihnen nichts.

Manche glauben sogar, eine abwärts in die Dummheit gerichtete Dynamik zu erkennen: Sie entstehe daraus, dass Zeitung und Leser, aneinander geklammert in gegenseitiger Erwartung und Erfüllung, sich vollständig und bodenlos der Sensationslust auslieferten.

Sagt Borta Leibzag:

In Wahrheit sucht jedermann Information und Sensation in etwa gleichem Verhältnis.

Dass der Akademiker seine Sensationen an Stellen findet, die nur mit akademischem Vorwissen zugänglich sind, nährt seinen Bildungsdünkel, erhebt ihn aber nicht über die Fußball- und Adelsbegeisterten.

Einige Zeitungen fühlen sich sogar einer aufwärtsgerichteten Dynamik verpflichtet, indem sie ganz ungefragt guten Lesestoff anbieten.


Paralyse durch Analyse?

Ich entscheide.

Hugo von Hoffmannsthal schreibt in einem Brief,

es gelinge ihm nicht mehr, die Menschen mit dem vereinfachenden Blick der Gewohnheit zu erfassen. Alles zerfalle ihm in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr lasse sich mit einem Begriff umspannen.

Die abstrakten Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäß bedienen müsse, um irgendwelches Urteil an den Tag zu geben, würden ihm im Munde zerfallen wie modrige Pilze.

Auch im hausbackenen Gespräch würden ihm alle Urteile, die leichthin und mit schlafwandlerischer Sicherheit abgegeben zu werden pflegten, so bedenklich, dass er aufhören müsse, an solchen Gesprächen irgend teilzunehmen.

Auch Golo Mann behauptet,

je länger man sich biografisch mit einer Unperson abgebe, mit ihrer Herkunft, den Motiven, die auf sie wirkten, ihrer Psychologie, desto eher sei man geneigt, sie zu verstehen, wovon es, wie man wisse, nur ein Schritt zum Verzeihen sei. So mache man die Unperson weniger schlecht als sie sei, wie tapfer man sich auch dagegen wehre.

Sagt Borta Leibzag:

Sie denken, dass eine sorgfältige Zergliederung zwangsläufig in eine Lähmung führe, in die Unfähigkeit, zu urteilen und zu entscheiden.

Das ist gelehrtes Gerede von Leuten, die sich davor drücken, Haltung zu beziehen, Partei zu ergreifen und kraftvoll tätig zu sein.

Am Anfang muss immer das eigene Urteil, die eigene Haltung stehen. Die Analyse dient nur der Rechtfertigung. Je gelehrter jemand ist, desto komplizierter sind die Analyse und Rechtfertigung dessen, was zu tun er sich entschlossen hat.

Schon die Scholastiker wussten:

Ich glaube, damit ich verstehe – credo ut intelligam. Das Bekenntnis muss am Anfang stehen. Dann folgt die Grübelei.


Kein Plan

Zwei Ameisen begegnen einander und wissen einander zu helfen. Das ist alles. Daraus entsteht der Bau. Einen Bauplan gibt es nicht.

Der Ameisenhaufen, der babylonische Bau des Ameisenvolks, entsteht ganz ohne Bauplan und ohne jede Projektleitung. Gleichwohl ist er ein ausgeklügeltes Funktionsgebilde. Es zu durchschauen erfordert weitaus mehr Intellekt als seine Errichtung.

Er entsteht auf sehr einfache Weise: Jede Ameise tut nur das unmittelbar vor ihr liegende entlang weniger Vorschriften. Begegnen sich zwei Ameisen, befolgen sie einfachste soziale Regeln der gegenseitigen Hilfe. Die Regeln und Vorschriften gelten nur ungefähr, viel hängt vom Zufall des Augenblicks ab. Niemand hat Sinn für das Große und Ganze. 

Der komplizierte Ameisenbau entsteht also aus Myriaden kleinster, teils gerichteter, teils zufälliger Handreichungen, ausgeführt mit dem mühseligen und im Grunde ziellosen Eifer des Einzelnen. Das ist alles.

Auch die menschliche Gesellschaft folgt keinem großen Entwicklungsplan mit festem Ziel. Auch sie entsteht und erwächst aus Myriaden rationaler und irrationaler, sozialer und materieller und oft zufälligen Handlungen Einzelner. 

Sagt Borta Leibzag:

Doch, es gibt ihn, diesen Entwicklungsplan, die Grobe Richtung, in der sich alles formt und bewegt, in der auch das Absurde Sinn erhält.

Aber ganz wie die Ameisen wissen wir wenig darüber. Im Rückblick zuweilen zeigt sich die Grobe Richtung als Jahrhunderte alter Trend zu Freiheit und Gleichheit.

Auch zu Frieden? So hoffen wir.

Er glaubte, in die Zukunft sehen zu können, die Richtung und alle Triebkräfte der Bewegung zu kennen.